Preisträgerin 2008 Ernst von Siemens Musikpreis

Dankesworte

Ich bin schlichtweg überwältigt von der Ehre und der Anerkennung, die Sie mir zuteil kommen lassen, liebe Verantwortliche der Ernst von Siemens Musikstiftung, lieber Herr Professor Kaiser.

Als ich von der Verleihung des Ernst von Siemens Musikpreises erfuhr, habe ich mich geschämt. Ich habe mich geschämt vor Ihnen, hochverehrte Sofia Gubaidulina, weil ich diesen weltweit so herausragenden Preis vor Ihnen bekomme. Dass Sie heute Abend hier sind, ehrt mich zutiefst. Ihr Konzert am Montag in der Allerheiligen Hofkirche war eine Sternstunde. Und so fügt sich zur Bewunderung für die große Komponistin auch noch die Bewunderung für die Interpretin Sofia Gubaidulina.

Meine Lieblingskomponisten heute hier zu sehen ist eine besondere Ehre und Freude.

Ich wage meinen Augen nicht zu trauen wenn ich in den Saal blicke. Wie in einem Wunschtraum sitzt der wunderbare Maître Henri Dutilleux neben Sofia Gubaidulina.

Très cher Henri, je suis très fière et éternellement reconnaissante que vous soyez venu spécialement de Paris pour être avec moi. Je vous admire depuis la première note que j’ai entendue de vous.

Meine weitere Verzückung gilt dem anderen großen Wolfgang nach Wolfgang Amadeus, Wolfgang Rihm. Auch Ihnen danke ich von Herzen für die Ehre Ihrer Anwesenheit.

Aus New York angereist sind André Previn und Sebastian Currier. André, Du hast mir eines der schönsten Violinkonzerte gewidmet. Mein, dem dritten Satz thematisch zu Grunde liegendes Lieblings-Kinderlied, ist immer wieder eine Zeitreise in meine Kindheit.

Sebastian, I can’t wait to premiere after your inspiring Aftersong, which we will hear tonight yet another work by you, the concerto Time Machine.

Liebe Mitglieder von Kuratorium und Stiftungsrat, Ihre Auszeichnung erfüllt mich mit Stolz und Freude, wie keine andere zuvor.

Und als bedeute der Ernst von Siemens Musikpreis an sich nicht schon Glück genug, haben Sie, lieber Professor Kaiser, mich mit Ihren poetischen Worten beschenkt. Angesichts Ihrer großartigen Sprachkunst werde ich mich erst gar nicht aufs Glatteis begeben, und versuchen, meinen Dank in Worte zu fassen. Denn ich bin fest davon überzeugt, meine sehr verehrten Damen und Herren, dass meine Geigenstimme Ihnen mehr Freude macht.

Doch zuvor möchte ich meine Gedanken über die Notwendigkeit privater Kunstförderung mit Ihnen teilen. Es erscheint mir mittlerweile müßig, über die Chancenlosigkeit der Kunst im politischen Verteilungskampf zu klagen. Denn das finanzpolitische Argument lässt nicht viel Freiraum für die vermeintlichen Anhängsel an das vordergründig Nützliche.

Was bleibt, ist die Hoffnung auf eine Verbindung, die auf den ersten Blick vielleicht widersprüchlich erscheinen mag, nämlich die Verbindung zwischen Wirtschaft beziehungsweise dem privatem Engagement und Kultur. Der unvergessliche Paul Sacher schrieb 1935 in seinem Aufsatz "Kunst und Krise", ich zitiere: "Da alle Kunstübung gewisser materieller Grundlagen bedarf und z.B. das Musizieren immer mehr Geld gekostet als eingetragen hat, ist der Zusammenhang der beiden Begriffe Kunst und Krise wohl ohne weiteres verständlich." Die Wirtschaftskrise der 30er Jahre, vor deren Hintergrund Paul Sacher diese Zeilen schrieb, ist glücklicherweise längst überwunden. Aber die Notwendigkeit einer materiellen Grundlage aller Kunst gilt wohl über sämtliche Konjunkturschwankungen hinweg. Wobei es einen Musiker längst nicht zufrieden stellt, von seiner Kunst existieren zu können. Erheblich wichtiger ist es, seine Würde und künstlerische Freiheit zu bewahren.

Das gilt insbesondere für Komponisten, selbst wenn sie höchste Annerkennung und Bekanntheit genießen. Zwei Beispiele: Karlheinz Stockhausen, Ernst von Siemens Musikpreisträger des Jahres 1986, sagte damals in seinen Dankesworten: "Als ich den Brief von Herrn Dr. Sacher bekam …, empfand ich Dankbarkeit und eine große Erleichterung. Ich hatte nämlich in den letzten Jahren in künstlerischem Leichtsinn viel mehr Geld ausgegeben, als ich besaß: einmal für den Druck meiner Partituren – und dann auch unter dem Druck der ‚neuen Mannschaft’ der Deutschen Grammophon, die von mir verlangte, dass ich für die Freigabe der Tonbandaufnahmen meiner Werke die Ablösungshonorare an die Interpreten und Rundfunkanstalten zahlen soll."

Und der von mir unendlich geschätzte Wolfgang Rihm sagte 2003 an dieser Stelle: "Ein Komponist lebt auf Pump. Ein Komponist muss am Anfang, wenn er beginnt zu komponieren, entweder ein Erbe sein, der ich nicht bin, oder er muss enorm viel vorschießen. Also, und dafür bin ich dankbar, habe ich jetzt die Möglichkeit, Schulden abzutragen."

Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese beiden exponierten Komponisten sind nur die Spitze des Eisberges. Ohne Förderung, sei es durch Preise, Stipendien oder Beauftragungen, wäre der Großteil des avantgardistischen Musikschaffens ganz einfach nicht existent!

Als Interpretin bin ich geradezu abhängig vom Werk des Komponisten, liebe Ernst von Siemens Verantwortliche, und Ihnen alleine schon deshalb seit langem von ganzem Herzen dankbar für Ihre – wie ich finde – vorbildliche und auch mutige Förderung der zeitgenössischen Musik.

Was in der öffentlichen Fokussierung auf den Preisträger leider nicht genügend Beachtung findet, und deshalb betone ich das jetzt nochmals ganz explizit: Das ist die Summen-Verteilung zwischen Musikpreis und Förderpreisen. 91 Prozent des gesamten diesjährigen Preisgeldes wird für die Förderpreise verwandt, das bedeutet die stolze Summe von 2,1 Millionen Euro. Und dieser Betrag ist in der Vergangenheit stetig gewachsen. Die Ernst von Siemens Musikstiftung stärkt damit nicht nur die sichtbare Spitze des Eisberges, sondern auch die Heran- und Fortbildung des künstlerischen Nachwuchses beispielhaft. Dafür fühle ich mich Ihnen zutiefst verbunden!

Wie dringend notwendig Nachwuchsförderung ist, habe ich in meiner Kindheit selbst erfahren. Und auch wie schwierig, diese in den entscheidenden Anfangsjahren benötigte Unterstützung zu bekommen. Ich hatte allerdings das große Glück, schon in sehr frühen Jahren mit großartigen Musikern zusammen zu arbeiten und dank Ihnen wachsen zu können. Ich denke da an meine wunderbare Lehrerin Aida Stucki. Sie ist noch heute ein Fixstern für mich und wir sind uns in tiefer Freundschaft verbunden. Und ich hatte die Riesenchance, Herbert von Karajan vorspielen zu dürfen.

Oder Paul Sacher, mein großer Förderer und Mäzen schon in frühen Jahren, der meine Leidenschaft für die Moderne entfachte. Die von ihm geleitete Uraufführung von Witold Lutoslawskis Chain II 1986 in Zürich war der Beginn einer neuen Ära für mich. Sie öffnete mir die Ohren für einen neuen Kosmos und schenkte mir ein viel reicheres leben als Musiker als es hätte sein können wenn ich mich nur dem existierenden Repertoire gewidmet hätte.

Jede Uraufführung gleicht einer künstlerischen Wiedergeburt. Jedes neue Werk stellt neue Fragen, zeigt eigene Grenzen des Verständnisses und der technischen Spielbarkeit auf. Jedes neue Werk ist aber endlich einmal auch lebender Dialog mit den Komponisten. Zugegebenermaßen komme ich während eines solchen Gesprächs nur in Ausnahmefällen auf meine Problemstellen offen zu sprechen.

In all den Jugendjahren gab es aber ein Werk, das sich mir verschloss, Bergs Andenken an einen Engel. Er widmete es der früh an Polio verstorbenen Tochter Alma Mahlers. Es bedurfte einer wirklichen Geburt – der meiner Tochter und später meines Sohnes – und den damit verbundenen Freudentaumel, um mir die andere Seite, die tiefe Verzweiflung über den Verlust eines Kinderlebens begreiflich zu machen. Und so wurde mit jeder Uraufführung, jedem Glücksmoment in meinem Leben wie auch durch die schweren Tage meine Seelenlandschaft einem Bild von Mark Tobey immer ähnlicher. Seine Gemälde, deren Oberfläche einer besonders schönen Japanischen Keramik gleichen mit all ihren Rissen, schienen ein Abbild meiner immer durchlässiger werdenden Seele zu sein.

Vielleicht bin ich durch diesen Reifeprozess ein besserer Musiker geworden – einerseits tiefer und genauer – andererseits aber auch freier.

Ich habe in den vergangenen Jahren versucht, wenigstens etwas von diesem Glück, das mir schon sehr früh geschenkt wurde, an die nächste Generation weiterzugeben. Gelingen kann dies aber nur mit vereinten Kräften – insbesondere wegen der finanziellen Dimensionen. Deshalb wurde vor 11 Jahren der Freundeskreis Anne-Sophie Mutter Stiftung e.V. ins Leben gerufen. Diesem Freundeskreis wird jetzt eine Stiftung zur Seite gestellt, um diese Förderarbeit weiter zu verstärken. 100.000 Euro des mit dem Ernst von Siemens Musikpreis verbundenen Preisgeldes werde ich in diese Stiftung einbringen.

Und ich lade Sie alle, meine sehr verehrten Damen und Herren, herzlich zu Ihrer Unterstützung ein. Die Förderung der nachwachsenden Talente gelingt nur, wenn wir sie selbst unternehmen. Das ist eine riesige Herausforderung für alle, denen die Zukunft des Musiklebens so am Herzen liegt wie mir. Doch um helfen zu können, brauche ich auch Ihre Hilfe: Bitte tragen auch Sie mit dazu bei, damit jeder außerordentlich begabte Musiker die Chance erhält, für uns alle das Fenster zu einer höheren Dimension zu öffnen.

Zu unserer Förderarbeit gehören finanzielle Leistungen wie beispielsweise die Bereitstellung von Instrumenten oder die Vergabe von Stipendien genauso wie die Vermittlung von Unterricht bei großartigen Musikern oder zum Vorspiel bei herausragenden Dirigenten.

Dabei gehen wir auch einen ganz neuen, und soweit ich weiß, bislang einzigartigen Weg: Indem wir nämlich Komponisten beauftragen, für uns Werke zu schreiben. Damit erweitern wir nicht nur das Repertoire für unsere Stipendiaten, sondern fördern zudem ihr Interpretationsverständnis. Auslöser war unser Stipendiat Roman Patkólo, ein begnadeter Kontrabassist. Für sein Instrument gab es praktisch kein solistisches Repertoire – bis zum 14. April vergangenen Jahres. An diesem Tag wurde in Boston das hinreißende Doppelkonzert für Violine, Kontrabass und Orchester uraufgeführt, das Sir André Previn im Auftrag des Freundeskreises geschrieben hat.

Weitere Auftragskompositionen sind in Arbeit. So schreibt beispielsweise Kristof Penderetzki an einem Werk für Geige und Kontrabass und Wolfgang Rihm komponiert für Roman und mich im Auge.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Verantwortliche der Ernst von Siemens Musikstiftung. Weil Musik viel mehr vermag als tausend Worte, wird es jetzt allerhöchste Zeit, dass wir uns dem widmen, worum es hier eigentlich geht. Der Musik nämlich, mit der ich mich bei Ihnen von ganzem Herzen bedanken möchte.

Auch wenn Sie mich heute für in der Vergangenheit Geleistetes ausgezeichnet haben, so verstehe ich den heutigen Tag vor allem als eine stetige Herausforderung für die Zukunft.

Sie hören jetzt Mikhail Ovrutsky, am Klavier begleitet von Ayami Ikeba. Auch Mikhail Ovrutusky ist ein Freundeskreis-Stipendiat. Neben seinen solistischen Aktivitäten ist er als erster Konzertmeister beim Beethoven Orchester Bonn tätig und hat zudem einen Lehrauftrag an der Musikhochschule Köln. Ein ganz phantastischer Geiger, mit dem ich in vielen Ländern Europas das Bach Doppelkonzert ausgeführt habe.

Danach spiele ich mit Roman Patkólo die Cadenza aus dem Doppelkonzert für Violine, Kontrabass und Orchester von Sir André Previn.

Für mich musikalischer Höhepunkt des Abends ist André Previns Improvisationskunst am Klavier. Es gibt für mich nichts Schöneres als Dir, lieber André, beim improvisieren zuzuhören. Am liebsten höre ich berühmte Amerikanische Theatermusik, von Dir neu inspiriert.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

Anne-Sophie Mutter

Laudatio von Joachim Kaiser

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