Ersteinspielung – 2022 Williams Violin Concerto No. 2 & Selected Film Themes

Williams über sein Violinkonzert Nr. 2

Williams über sein Violinkonzert Nr. 2

Mit Erläuterungen zu meiner eigenen Musik tue ich mich immer schwer. So ein Programmhefttext versucht in der Regel die Frage zu beantworten, worum es in dem jeweiligen Musikstück geht. Und auch wenn Musik die unterschiedlichsten Aufgaben und Funktionen erfüllen kann, so bin ich der Meinung, dass jeder Hörer die Freiheit haben sollte, ein Musikstück vor dem Hintergrund seiner eigenen Geschichte, musikalischen Erlebnisse und kulturellen Wurzeln zu hören und zu interpretieren. Der eine hört eine versunkene Kathedrale, wo eine andere Morgennebel sieht. Die Bedeutung entsteht, wenn ich so sagen darf, »im Ohr des Betrachters«.

Für mich geht es in diesem Stück vor allem um Anne-Sophie Mutter und um die Violine als Meisterwerk der Geigenbaukunst. Für dieses Instrument wurden schon so viele großartige Stücke geschrieben, in den letzten Jahren ja auch und gerade für Anne-Sophie, dass ich mich zunächst fragte, worin mein Beitrag bestehen sollte. Doch letztlich wurde diese große Künstlerin selbst zu meiner Inspiration und Antriebskraft. Wir hatten gerade ein Album mit Arrangements aus meinen Filmmusiken aufgenommen, und bei einem Stück aus Cinderella Liberty (Zapfenstreich) bewies Anne-Sophie ein bemerkenswertes Gespür für Jazz. Darum beginnt der erste Satz (»Prologue«) dieses Konzerts nach einer kurzen Einleitung mit einer quasi-improvisatorischen Passage, die Anne-Sophies offensichtliche Affinität zu diesem Musikstil widerspiegelt. Danach folgen einige schnellere Passagen, bei deren Komposition ich daran dachte, wieviel Spaß sie mitunter an rhythmisch mitreißenden Bravourstücken hat.

Der nächste Satz beginnt mit einem leisen Murmeln, das aus einer sanften, in sich kreisenden Bewegung erwächst, daher der Titel »Rounds«. Später klingt die Harmonik ein wenig nach Debussy, doch dabei spielt auch ein anderer Claude eine Rolle: Claude Thornhill, den ich schon lange verehre und der mit seiner Musik Pate stand für die Zusammenarbeit von Gil Evans und Miles Davis fungierte. In diesem Satz wird auch ein Leitmotiv eingeführt, das im »Epilogue« wiederkehren wird.

»Dactyls« ist ein Lehnwort aus dem Griechischen, wo der daktylos nicht nur den Finger mit seinen drei Gliedern bezeichnet, sondern auch einen dreisilbigen Versfuß. Dieser dritte Satz steht im Dreiertakt und enthält eine kurze Kadenz für Geige, Harfe und Pauken – ein weiterer Dreiklang. Die aggressive Virtuosität der Sologeige erzeugt einen wilden, walzerartigen Schwung, der ein wenig derb und vorlaut anmutet.

Geige und Harfe leiten attacca in den letzten Satz (»Epilogue«) über; die Klänge scheinen sich aufzulösen und das Kräfteverhältnis zwischen den beiden Instrumente umzukehren. Das Motiv aus »Rounds« wird zu einem Duett von Geige und Harfe, und der sanfte A-Dur-Schluss des Werks deutet Heilung und einen Neubeginn an.

John Williams, 28. Juni 2021

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