Vier Jahrzehnte Rampenlicht

Anne-Sophie Mutter feiert Bühnenjubiläum mit Doppel-CD „Mutterissimo“ – 2016 Vier Jahrzehnte Rampenlicht

Die große Bühne betrat Anne-Sophie Mutter im August 1976 bei den Luzerner Festwochen. Dreizehn Jahre alt war sie damals. Im Jahr darauf debütierte sie mit Herbert von Karajan bei den Salzburger Pfingstfestspielen. Und wieder ein Jahr später erschien bei der Deutschen Grammophon ihre erste Platte. Natürlich stand das Wort »Wunderkind« in den Zeitungen.

Ich habe das mit halbem Ohr mitbekommen«, erzählt sie, »aber es hat mich wenig interessiert. Dass ich ein Kind war, wusste ich. Das mit dem Wunder fand ich irgendwie komisch.« Als Teenager quasi über Nacht weltberühmt zu werden, war beglückend, aber auch eine Herausforderung an Herz und Verstand. »Ich habe deshalb sehr früh gelernt, das, was geschrieben wird, in eine realistische Relation und Proportion zum privaten Leben zu setzen.« Diese Erdung sollte Anne-Sophie Mutter gut gebrauchen können. Denn was folgte, war eine Weltkarriere, wie sie seither kein anderer Geiger mehr gemacht hat. 

Doch was auch immer ihr gelingen mochte – zunächst, in den 1980er Jahren, vor allem an der Seite Herbert von Karajans, später dann mit zahlreichen Uraufführungen von Werken bedeutender Komponisten, mit einer Stiftung für hochbegabte junge Musiker und mit ihrem eigenen Ensemble Mutter’s Virtuosi –, immer warteten nicht nur die Journalisten darauf, dass sich endlich jene obligatorische Krise einstellt, die angeblich jedes Wunderkind irgendwann ereilt. Schließlich kennt die Geschichte der klassischen Musik viele Frühstarter, die es umso schwerer haben, je älter sie werden. »Mich hat das eine Weile irritiert, weil man sich in der Phase des Erwachsenwerdens auch mit Kollegen und deren Lebensgeschichten befasst. Im Interview teilte man mir oft drohend mit, jetzt sei es mal Zeit für die Krise. Später, mit 30, war es dann Zeit für die Erwachsenenkrise, mit 40 für die Alterskrise und mit 50 war es ein Wunder, dass ich mich noch bewegen konnte. Das kann man nicht Ernst nehmen. Jedes Leben folgt einer anderen Logik und einem anderen Tempo. Natürlich gibt es auch in meinem Leben schwer lösbare Herausforderungen. Aber man lernt aus den Erfahrungen, auch aus den schwierigen Zeiten, und wichtig ist, was man daraus für sich an Kraft generieren kann.« 

Einen Lerneffekt konnte Anne-Sophie Mutter schon aus einem ihrer allerersten Konzerte mitnehmen. Sechs Jahre alt war sie, als sie in der Nähe ihrer Heimatstadt Wehr im »Trompeterschlössle« im badischen Bad Säckingen auftrat. Geigenunterricht hatte sie da erst seit etwa knapp einem Jahr. Ein edel gewandetes Publikum war erschienen, darunter der Bürgermeister. Und diese Leute, obwohl sie scheinbar nur passiv dasaßen, hatten Teil an dem, was vorne auf der Bühne passierte – auch an der Musik. Nicht nur durch Applaus und Reaktionen, sondern vor allem durch die Stille, die Aufmerksamkeit, die offenen Augen und Ohren. Ein Konzert ist ein Dialog, das Publikum wirkt auf den Künstler zurück. Das spürte schon dieses kleine Mädchen sehr deutlich. Was nicht ausschließlich positive Auswirkungen hatte: »In der ersten Reihe saß eine Dame mit goldenem Schuhwerk. Damals hatte ich noch nicht genügend Erfahrung, um rechtzeitig vorausschauend das Licht im Saal abdunkeln zu lassen. Aber seit ich von diesen goldenen Schuhen abgelenkt wurde und auch eine Ehrenrunde in meiner Etüde drehen musste, einfach weil ich den Faden verlor, liebe ich die Dunkelheit, die mich um fängt. Die Sinne sind dann umso gespannter auf das gerichtet, was man fühlt, hört und empfindet, nicht auf das, was man sieht. Daraus habe ich zwei Schlüsse gezogen: Ich liebe Schuhe und es muss im Saal dunkel sein.« 

So sehr sich die Welt auch gewandelt hat seit den späten 1960er Jahren – ein klassisches Konzert läuft noch heute in 90 Prozent der Fälle nach denselben Mustern ab wie damals. Dieses Ritual, davon ist Anne-Sophie Mutter überzeugt, wird weiterleben, und es wird seine Berechtigung behalten: »Dass man ein Beethoven-Violinkonzert anmoderieren muss, glaube ich nicht. Nicht nur, weil das Repertoire bekannt ist, sondern weil die Musik in ihrer Tiefe und Ernsthaftigkeit keinerlei witzigen Kommentars bedarf.« Und doch hat sich im Publikum, diesem im Augenblick des Musizierens so nachdrücklich präsenten Dialogpartner, in all den Jahren etwas Wesentliches verändert. Mehr noch: Der gesellschaftliche Stellenwert der klassischen Musik hat sich verschoben. Und das sieht Anne-Sophie Mutter durchaus als Gefahr – aber auch als Chance: »Klassische Musik ist nicht zuletzt durch Nichtexistenz in den Medien derart als Kulturgut der empfindlichsten Sorte hyperstilisiert worden und im Elfenbeinturm verschwunden, dass jegliche Regung, auch der Begeisterung, seitens des Konzertpublikums aus den Konzertsälen fast abhanden gekommen zu sein scheint. Ich erlebe ein ganz anderes Publikum, wenn es zum Ballett oder in die Oper geht. Aber im symphonischen und kammermusikalischen Repertoire treffe ich auf ein unglaublich gebildetes, oft auch neugieriges Publikum, aber auch auf eines, das sich vornehm zurückhält. Das wirkt, als würde da etwas unterdrückt. Noch mehr Spontanität seitens des Publikums ist für den Künstler und das Gelingen des Abends wichtig, aber auch für den Zuhörer. Man darf sich einfach erlauben, lockerer und emotionsgeladener auf Musik zu reagieren.« 

Auch deshalb tritt Anne-Sophie Mutter schon seit Jahren nicht nur in den Konzert-Tempeln der Klassikszene auf, sondern auch in Clubs, wo ein junges Publikum ziemlich unbekümmert um die traditionellen Rituale viel spontaner auf die Musik reagiert. Dass sie verstärkt auch die sozialen Medien nutzt, um mit ihren Fans in Dialog zu treten, ist da nur konsequent. So ist etwa das Cover des vorliegenden Albums in einem Online-Design-Wettbewerb entstanden. Aus den eingegangenen Entwürfen hat Anne-Sophie Mutter persönlich den Gewinner ausgewählt. 

Aber natürlich braucht die Klassik nicht nur frische Formen, sondern vor allem lebendige Inhalte. Deshalb ist ihr die Weiterentwicklung des Repertoires so wichtig. Anne-Sophie Mutter wurde eben nicht nur mit Goldenen Schallplatten für Verkaufsrekorde ausgezeichnet, sondern auch mit dem Ernst von Siemens-Musikpreis, der ihre hervorragenden Leistungen für das internationale Musikleben würdigt. Große Komponisten wie Sebastian Currier, Henri Dutilleux, Sofia Gubaidulina, Witold Lutosławski, Norbert Moret, Krzysztof Penderecki, Sir André Previn oder Wolfgang Rihm haben Werke für sie geschrieben. Und schließlich ist da ihr Einsatz für die nachfolgende Generation. Längst sind junge Musiker wie die Geigerin Vilde Frang oder die Cellisten Daniel Müller-Schott und Maximilian Hornung, die von ihrer Stiftung gefördert wurden, selbst Stars. 

Die vorliegende Veröffentlichung, die Aufnahmen hauptsächlich aus den letzten beiden Jahrzehnten versammelt, lädt zu zwei Rundgängen durch die musikalischen Welten von Anne-Sophie Mutter ein. Der erste führt quer durchs Kernrepertoire für Solovioline und Orchester, wobei bekannte Komponisten wie Dvořák oder Schumann auch mit eher unbekannten Stücken zu Wort kommen. 

Der zweite – oft im Duo mit Mutters langjährigem Klavierpartner Lambert Orkis – verbindet Virtuosität und Leichtigkeit, Populäres und Überraschungen, Emotion und rhythmische Energie.

Cover

Das Cover dieser Veröffentlichung entstand im Rahmen eines offenen Design-Wettbewerbs auf der Onlineplattform 99designs und wurde von Anne-Sophie Mutter persönlich aus 1284 Entwürfen ausgewählt.

Mutterissimo 1/3 - Zur Idee und dem Design-Wettbewerb
Mutterissimo 2/3 - das Repertoire
Mutterissimo 3/3 - meine Auswahl
  • MUTTERISSIMO - The Art of Anne-Sophie Mutter
    MUTTERISSIMO - The Art of Anne-Sophie Mutter
    Korngold, Dvořák, Beethoven, Tschaikowski, Schumann, Brahms, Stravinsky, Kreisler, Ravel, Schubert, Wieniawski, Sibelius, Mendelssohn, Fauré, Gershwin, Debussy, Benjamin, Prokofjew

    Berliner Philharmoniker, London Symphony Orchestra, New York Philharmonic Orchestra, Philharmonia Orchestra, Wiener Philharmoniker, Staatskapelle Dresden, Trondheim Soloists

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