Ein Resümee des 20. Jahrhunderts – 2000 Back to the Future

Wolfgang Rihm

geboren: 13. März 1952 in Karlsruhe, Deutschland

Wolfgang Rihm begann bereits zu Schulzeiten mit dem Komponieren. Seine musikalische Ausbildung absolvierte er an der Musikhochschule Karlsruhe, bei Karlheinz Stockhausen in Köln sowie bei Klaus Huber in Freiburg i. Br. Hinzu kamen Studien der Komposition bei Wolfgang Fortner und Humphrey Searle sowie der Musikwissenschaften bei H. H. Eggebrecht. Über mehrere Stationen als Dozent kehrte Rihm 1985 nach Karlsruge zurück, wo er seitdem als Professor für Komposition lehrt.

T. Röder schreibt über das musikalische Wirken Wolfgang Rihms: "Auf eigene dialektische Weise ist Rihm zutiefst dem subjektiven Schaffensimpuls verpflichtet; anarchische Emanationen werden hierbei präzise protokolliert. Rihms Tonsprache artikuliert sich trotz ihres individuellen Ausgangspunktes kommunikativ. Ihr theatralisches Potential schlug sich in etlichen vielbeachteten Bühnenwerken nieder."

Über "Gesungene Zeit" (1991-92) schreibt Wolfgang Rihm selbst: "Gesungen aber nicht "gespielt". Instrumentale virtuosität ist mir eine gesteigerte Qualität gesanglicher Fähigkeiten. Besonders auf Streicherinstrumenten liebe ich den gezogen-vokalen Klang, das Vibrieren des Zeitstrahls. Energie, die sich im Ton sammelt, um den nächsten Ton zu generieren. Zwischen den Tönen scheint – unvorstellbar – auf, was wir "Musik" nennen können. Ein Ton also: Die Erwartung von Musik; ein anderer Ton also: Die Erinnerung von Musik.

Schon beim Bratschenkonzert (1979/83) wurde mir ein Wagner-Wort hintergründige Anregung. In verkürzter Paraphrase lautet es: "... den Faden spinnen, bis er ausgesponnen..."

In einer "gesungenen" Zeit finde ich den unabänderlichen Fortgang der Zeit und den absurden Kommentar dessen, der, ihr Angehöriger, sie anhalten möchte, sie im Augenblick beschließen, einschließen dort, wie in ein Gestein – aber als Bewegung, als Energie, atemlos, nicht todesstarr (Artauds Idee von Betyl, singendem Gestein ... oder die selbst musikwissenschaftlich einschlägigen Vergleiche: Melos = Nerven ...) – dazu bedarf es eines Mediums, das über jene Virtuosität verfügt, Nervenstränge, Gedankenzüge hervorhörbar zu machen, sie als sinnliche Gestalten aus der materiallosen Konfiguration aufleuchten zu lassen.

Als Paul Sacher mir im Gespräch Anregung und Auftrag gab, für Anne-Sophie Mutter zu komponieren, memorierte ich blitzartig ungemein energetisch und belebt geführte hohe Töne, die ich von dieser Künstlerin schon vernommen hatte. In ihrem Spiel war mir nie jenes oft virtuosentypische Dünner- und Ärmerwerden des LANGSAMEN Spiels in der Höhenregion begegnet, vielmehr gerade dort: entlegene Fülle und Lebenskraft. Besonders dann, wenn es um die Gestaltung des Entlegenen selbst geht, wünsche ich mir dessen Darstellung als Akt des lebendigen. Davon sponn ich weiter. Den Faden? Bis er ausgesponnen?

Das Orchester ist klein, doppelgängerisch geführt. Die Violine spricht ihre Nervenlinie in den Klangraum – schreibt sie dort ein. Eigentlich ist dies einstimmige Musik. Und immer Gesang, auch dort, wo Schlag und Puls den Atem kruz fassen, ihn bedrängen.

Die Linie selbst, ist sie ein Ganzes? Alles ist nur teil, Segment, Bruchstelle; beginn- und beschlusslos ist es unserer Beobachtung anheim gegeben – wir entwerfen hörend auf ein Ganzes hin, das es nicht gibt. Aber dort muss es sein..."

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