Mutter und Orkis feiern – 2014 Silber-Jubiläum

Mutter und Orkis im Interview Seelenverwandtschaft

Die Begegnung mit Lambert war ein Glücksfall in meinem Leben. Als wir anfingen miteinander zu musizieren, kristallisierte sich sehr schnell heraus, wie perfekt wir miteinander atmen und phrasieren.“ Im Dezember 1988 gaben Anne-Sophie Mutter und Lambert Orkis in Amerika die ersten gemeinsamen Konzerte. Die Übereinstimmungen im musikalischen Denken, die sie unmittelbar spürten, können sich nach Ansicht der beiden kaum entwickeln, für Anne-Sophie Mutter sind sie „vorhanden oder eben nicht. Mit Worten lässt sich das nur schwer beschreiben. Aber man merkt ja auch sofort, ob man sich mit einem Menschen wirklich unterhalten kann. Diese ganz ursprüngliche Basis blieb in unseren inzwischen 25 gemeinsamen Jahren immer erhalten.“

Dass die beiden künstlerisch aus eher unterschiedlichen Richtungen kommen, erwies sich nicht als Hindernis, sondern als äußerst fruchtbar. Lambert Orkis war mit zeitgenössischer Musik ebenso langjährig vertraut wie mit dem Spiel auf authentischen Instrumenten, was seine Sicht auf die Musik des 18. und 19. Jahrhunderts prägte. Die Geigerin ist überzeugt davon, dass die Arbeit an den Mozart und Beethoven-Sonaten davon eminent profitierte. „Generell helfen uns die Unterschiede unserer Persönlichkeiten genauso wie die Gemeinsamkeiten – zu denen der Wunsch gehört, dem anderen bedingungslos zur Seite zu stehen. Wir sind wie Drahtseilartisten, die versuchen, dem anderen die optimale Position für den dreifachen Salto mit Schraube zu ermöglichen.“

Für den Pianisten ist die Antwort auf die Frage, wie eine solche Künstlerehe so lange ohne leiseste Trübungen existieren kann, ganz einfach: „Wir mögen einander, wir mögen das Spiel und die Gegenwart des anderen. Das macht vieles einfacher, denn was wir tun ist ja harte Arbeit. In gewisser Weise war ich verdorben durch die wunderbare Zeit mit dem großen Cellisten Mstislaw Rostropowitsch, der mir Anne-Sophie seinerzeit vorstellte. Aber das Musizieren mit ihr entwickelte sich von Anfang an ganz natürlich. Ihr Spiel ist so unglaublich schön und gut informiert, ihr Geschmack absolut sicher, auch in der zeitgenössischen Musik. In Anne-Sophie vereint sich die Freude an der Musik mit Abenteuerlust und einer enormen Leidenschaft für die Sache. Ich meinerseits möchte Virtuosität mit einem schönen Klavierklang verbinden. Ein großer Teil unserer Kommunikation läuft ausschließlich über den Klang. Natürlich reden wir, aber gar nicht so viel über Interpretationen. Wir reden über Politik und Religion oder ihre Hunde und meine Katzen… Und wir streiten uns nie dabei.“

Anne-Sophie Mutter wollte immer mit Dirigenten arbeiten, die ihre eigenen Vorstellungen von Musik und eine eigenständige Meinung haben. „Ich schätze das viel mehr als wenn jemand das Orchester nur dazu bringt, sich höflich im Hintergrund zu halten. Bei der Kammermusik ist es noch viel wichtiger, dass ein Partner eigene Erfahrungen einbringt. Ich lerne gerne dazu. Und das ist nur bei Musikern möglich, die mehr oder doch anderes über ein Werk wissen als ich – so wie Lambert. Ihm habe ich es zu verdanken, einem Komponisten wie Sebastian Currier begegnet zu sein, der für mich das Violinkonzert Time Machines und für uns beide das Kammermusikwerk Aftersong schrieb. Lambert hat wichtige künstlerische Impulse und Freundschaften ermöglicht.“

Beschäftigt hat sich das Duo im Laufe von 25 Jahren mit zahlreichen Komponisten: Franck, Debussy, Fauré, Schumann, Brahms, Kreisler, Prokofjew, Respighi, Anton Webern oder George Crumb. Die Programme ihrer Konzerte entwerfen sie gemeinsam, wobei Aida Stucki immer wieder mit Rat behilflich war. Ohne Anne-Sophie Mutters wunderbare Lehrerin hätten sie vielleicht so manches Juwel wie die Sonate von Respighi nicht wahrgenommen. Die zentralen und anspruchsvollsten Projekte des Duos waren die Mozart- und Beethoven-Interpretationen, die sie 2006 bzw. 1998 auch auf jeweils vier CDs dokumentierten. „Ich hatte viele wichtige Stücke gespielt, Anne-Sophie andere. Aber von den Beethoven-Sonaten und vor allem den Mozart-Sonaten war das meiste neu. Deshalb war dieses Projekt für mich das überraschendste, offen gestanden hatte ich Angst vor Mozart. Anne-Sophie hat mir sehr geholfen, las seine Briefe, die uns klar machten, welche unglaublichen Geschichten die Sonaten erzählen.“ Auch für Anne-Sophie Mutter warfen diese 16 großen Sonaten unendlich viele Fragen auf. „In Mozarts Partituren finden sich so gut wie keine Spielanweisungen, z.B. in puncto Dynamik. Da war es schön, dass wir vieles gemeinsam entwickelten und nicht schon vorher entschieden hatten, in welche Richtung wir gehen würden. Wir brachten ganz unterschiedliche Impulse ein. Generell sind wir offen, wir bleiben zugleich interessant für den anderen und möchten immer wieder etwas für den Partner Aufregendes, ruhig auch mal Störendes in die Waagschale werfen.“

Routine ist ein Fremdwort für das Duo, auch dann, wenn man auf Tourneen in fünf Tagen schon einmal fünf Grenzen überquert und in elf Tagen zehn Konzerte spielt. Auch nach 25 Jahren wird vor jedem Auftritt intensiv geprobt, manchmal bis zur letzten Minute an musikalischen Konzepten gefeilt. Was die Spontaneität der momentanen Eingebung nicht ausschließt. „Wir gehen Risiken ein“, meint Orkis. „Einer stellt das thematische Material vor und gibt ihm eine Klangfarbe wie nie zuvor. Und der andere reagiert.“ „Mit Lambert kann ich alles machen, das Tempo bis zum Limit steigern und ganz der Spielfreude nachgeben. Viele große Komponisten, die selbst begnadete Interpreten waren, spielten ihre Werke immer wieder anders. Wir suchen nicht nach der einen perfekten Interpretation, die wir dann ein Leben lang wiederholen. Weil wir von vielen lebenden Komponisten wissen, wie viele Möglichkeiten es gibt, einer Partitur Leben einzuhauchen. Fast alle halten die persönliche Sicht des Interpreten für entscheidend.“ Das gilt erst recht für ein Werk wie die Zweite Sonate von André Previn, für Orkis ohnehin „mit einem Blinzeln im Auge geschrieben. Der letzte Satz ist voller Spaß und Humor, die so oft fehlen in der Neuen Musik. André schreibt zugänglich, trotzdem klingt seine Musik frisch und modern. Er nimmt sich einfach nicht so ernst wie viele seiner Kollegen.“ Auch Anne-Sophie Mutter schätzt Previns Fähigkeit, mit dem Publikum zu kommunizieren. „Und wer schreibt schöner für die Stimme und damit auch für die Violine? Wie er es im zweiten Satz schafft, Gefühle lebendig werden zu lassen, das ist selten bei einem zeitgenössischen Komponisten.“

Ganz anders Pendereckis an barocke Vorbilder erinnerndes La Follia für Solovioline: eine Reihe höllisch schwerer Variationen über ein majestätisches Thema. „Er lässt nichts aus, Flageoletts, Terzen- und Dezimenläufe, Sprünge, bei denen man sich anschnallen muss. Ich glaube, er hat die Form zur geigerischen Vollendung gebracht, auch wenn ich mich über ein paar schier unspielbare Intervalle dann doch bei ihm ausweinen musste.“

Gab es jemals eine ernsthafte Auseinandersetzung zwischen Anne-Sophie Mutter und Orkis? Sie lacht. „Außer meinem Bruder und meinem verstorbenen Mann kenne ich niemanden, der so völlig ohne Launen ist wie Lambert. Das kann ich von mir leider nicht ganz behaupten. Wenn ich hungrig bin und nichts zu essen bekomme, kann es schwierig werden, da leidet Lambert sicher mehr als umgekehrt.“ Was er bestreitet: „Manchmal leide ich wegen eines Flügels, aber niemals wegen ihr.“

Oswald Beaujean

März 2014

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